Dame ohne Unterleib (2003) | ||
Wenn der Fernsehabend beginnt, zieht Gerhard sich schön an, stellt eine rote Rose auf das Wohnzimmertischchen und setzt sich gleich in seinen Fernsehsessel. Er hat sich in Dagmar Berghoff verliebt. Und zurecht, denn sie ist schön und immer freundlich. Eine Sache, die mit seiner Frau nichts zu tun hat. "Ich liebe dich," sagt Gerhard zu Dagmar. "Daggi." Hoffentlich sieht sie auch seine schöne Krawatte, denkt er. Sie ist blau mit einem Rand. Ein Foto von seiner Liebsten hat er neben seinem Waschbecken aufgehängt. Er hat es aus dem Fernseher herausfotografiert, wie sie hinter ihrem Vorlesetisch sitzt: Sie trägt ein Halskettchen aus Gold um ihren schönen Hals, schön weißen Hals, mit einer Brosche und eine Bluse, die hervorragend zu ihrem Rock passt. Ihr ebenholzschwarzes Haar fällt wie ein Engel über ihre schneeweißen Schultern herunter und lächelt nett auf ihn herunter. Leider kann er auf dem Foto so gut wie nichts erkennen, außer das Blitzlicht von seinem Fotoapparat und oben ist der Kopf halb abgeschnitten. Hauptsache, dass genug zu sehen ist. Jeden Morgen sagt er "Guten Morgen." zu ihr. Da hat er schon Sehnsucht. Sie sagt immer "Guten Abend, meine Damen und Herren." Damit ist er gemeint. Ihr blutroter Mund bewegt sich dabei wie eine Bauchrednerin. Einmal hat er sie zu einer anderen Uhrzeit beinahe auch im Fernseher gesehen. Ein Mann, den Gerhard schon öfter gesehen hat, er weiß aber nicht genau wo, in der Firma? Oder aus dem Radio; Saß auf der anderen Seite des Tisches und hat sie gefragt und sie hat Antworten gegeben. Da hat Gerhard aber gleich gemerkt, dass es die falsche Frau war. Sie hatte die gleiche Stimme und auch ausgesehen, aber nicht so strahlend. Die Haare auch nicht so schattenlos. Und sie hat die falschen Sachen gesagt, von anderen Kindern als sonst. Im Fernseher ist alles möglich, und man glaubt besser nur den Richtigen. Es wird dort viel gemogelt. Gelogen. Gerhard muss genau aufpassen. Wie sie den Moderator angelächelt hat, hat sie ihn an Dagmar erinnert, es war aber nur von der Seite zu sehen, er ist sich nicht sicher. Doch er ist sich sicher, sie wars nicht. In Japan ist ein Erdbeben. Seine richtige Dagmar zeigt kleine Filme von Frauen, die in staubigen Kleidern in der Schlange stehen und auch Kinder. Ihre Spielsachen sind kaputtgegangen. Sie lächelt dann kurz nicht und blickt schüchtern auf ihren Zettel. Die anderen merken es nicht. Dann blättert sie ihn mit ihren Händen um. Damit Berghoff sie zeigen, dass es nicht gut ist, dass manche Kinder warten müssen. Leider kauft Gerhard sowieso nie Spielsachen, obwohl er als Kind oft mit Lego Burgen gebaut hat. Wenn die Sendung mit Dagmar um ist, schaltet Gerhard um und sieht einen Film, oder ausschalten und nachdenken. Gerhard kauft kein Steak aus Argentinien und keine Bananen, damit die Kinder es selbst essen können. Der ist nicht ganz richtig da oben, sagt jeder. Stimmt auch. |
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für "facts are the enemy of truth", badisches staatstheater karlsruhe, 2003 | ||
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